Trittbrettfahrer der Herdenimmunität

14.04.2017

In Diskussionen über Pro und Kontra Impfen taucht immer wieder das Argument der Herdenimmunität auf. Sogenannte Impfgegner seien Trittbrettfahrer derselben. Auch bei der Forderung nach einer gesetzlichen Impfpflicht wird ständig auf diesen angeblichen Effekt verwiesen. Menschen, die nicht geimpft werden könnten, würden dadurch mit geschützt werden, so ist vielfach dazu zu lesen. Grund genug für uns, dieses Thema heute ausgiebiger zu durchleuchten.

Wie wird Herdenimmunität überhaupt definiert?

Der Begriff wird zwar ständig benutzt, ist aber eigentlich so speziell, dass er noch nicht einmal im medizinischen Standardwerk, dem Pschyrembel, aufgeführt wird. Zunächst geht es hier um rein epidemiologische, also statistisch berechnete Zahlen. Zu jeder Infektionskrankheit, bei der der Mensch einziger Wirt der entsprechenden Erreger ist, lässt sich ermitteln, wie viele weitere Menschen eine erkrankte Person im Durchschnitt infiziert (sog. Basisreproduktionszahl). Bei den Masern sind dies z.B. zwischen 12 und 18, bei Meningokokken des Typs C theoretisch 1,3 Personen. Daraus wird dann berechnet, wie viele Personen über eine Immunität verfügen müssten, so dass auch Andere ohne eine solche vor der Infektionserkrankung geschützt wären, da die entsprechenden Erreger keine ausreichende Möglichkeit zur Verbreitung finden. Je weniger Personen ein an einer bestimmten Infektion Erkrankter ansteckt, desto niedriger ist also die sog. Herdenimmunitätsschwelle. Natürlich lassen sich diese Zahlen auch in eindrucksvollen Grafikanimationen abbilden und jeder ist so schnell überzeugt, dass die Herdenimmunität eine tolle Sache ist.

Impfrate 95% = Herdenimmunität?

Nun gibt es jedoch ein paar ganz klitzekleine Probleme, dieses statistische Modell auf die Impfdiskussion zu übertragen:
  1. Erst einmal bezieht es sich auf tatsächlich Immunisierte, wie beispielsweise an den Masern erkrankte Kinder, die auf diese Weise eine tatsächliche, lebenslange und sichere Immunität gegen das Masernvirus erworben haben (darauf bezieht sich ursprünglich das Wort ‚Kinderkrankheiten’). Irgendeine Impfung, die solch einen nahezu hundertprozentig effektiven und zeitlich unbegrenzten Schutz, inkl. eines Nestschutz für Säuglinge durch die Mutter, bieten könnte, existiert nicht. Es handelt sich also um zwei völlig verschiedene Dinge.
  2. Eine Impfrate von 95% (die in vielen Presseartikeln und Diskussionen als angeblicher Standard herum geistert) differenziert in keiner Weise die verschiedenen Erkrankungen und ihre Infektionsmodi
  3. Die breit angelegten Impfkampagnen haben teilweise einem eigentlich bestehenden Herdenschutz größeren Schaden zugefügt
  4. Eine nicht oder nicht vollständig erkennbare Infektions-‚Erkrankung’ schließt eine Infektion anderer Personen keinesfalls aus
  5. Manche Impfungen erzeugen durch kurzfristige Unterdrückung von Erregerstämmen (und entsprechenden Symptomen einer Erkrankung) temporär statistisch imposante Ergebnisse. Die langfristigen Auswirkungen der Massenimpfungen sind aufgrund der Komplexität in der Biologie allerdings kaum abschätzbar. Schon jetzt lassen sich viele Folgeprobleme der Impfungen kaum noch weg retuschieren.
Schauen wir uns ein paar einschlägige Beispiele zu diesen Punkten an und was die Gesundheitsbehörden dazu sagen:
Mumps
Die Impfung ist nicht gerade für ihre besonders hohe, bzw. lang anhaltende Effektivität berühmt. Bei einem Ausbruch unter Studenten der Harvard-Universität waren nahezu alle bestätigten Fälle geimpft. http://www.cambridgepublichealth.org/news/article.php?id=171
Durch die Massenimpfungen hat sich das Erkrankungsalter immer weiter nach hinten verschoben, dazu das Robert Koch-Institut (RKI): „Als Ursache für die Altersverschiebung und die Infektionen unter zweifach Geimpften werden vor allem ein über die Zeit abnehmender Impfschutz (Waning immunity), eine mangelnde Boosterung durch weniger zirkulierende Wildviren aufgrund von steigenden Impfquoten unter Kindern […] diskutiert.“ https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Merkblaetter/Ratgeber_Mumps.html
Die v.a. gefürchtete Komplikation einer Hodenentzündung mit folgender Unfruchtbarkeit tritt allerdings vorwiegend nach der Pubertät auf, wo früher 90% der Jungen bereits eine natürliche Immunität erworben hatten. Anders gesagt hat die Impfung also den gefürchteten Komplikationen erst Vorschub geleistet, die sie eigentlich verhindern sollte. Davon abgesehen scheint eine Herdenimmunität durch diesen Impfstoff also nicht zu existieren.
Keuchhusten (Pertussis)
Hier verweist das RKI auf die angebliche Wichtigkeit des sog. Cocooning, also alle im Haushalt lebenden Personen ggf. nachimpfen zu lassen, um eine Baby zu schützen, das besonders den lebensgefährlichen Komplikationen dieser Erkrankung ausgesetzt ist. Dem widersprechen allerdings die US-amerikanischen ‚Centers for Desease Control and Prevention’ (CDC): „Since pertussis spreads so easily, vaccine protection decreases over time, and acellular pertussis vaccines may not prevent colonization (carrying the bacteria in your body without getting sick) or spread of the bacteria, we can't rely on herd immunity to protect people from pertussis.“ https://www.cdc.gov/pertussis/about/faqs.html
Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) äußerte sich noch bis vor kurzem gegenüber der Kokon-Strategie: „Neonatal immunization, and vaccination of pregnant women and household contacts (“cocooning€) against pertussis is not recommended by WHO“ https://web.archive.org/web/20141019234243/http://www.who.int/immunization/policy/Immunization_routine_table1.pdf
Warum dies ersetzt wurde durch die Empfehlung, nun doch die (schwangere) Mutter zu impfen, ist natürlich nicht nachvollziehbar, da die Impfung niemals bei Schwangeren auf Sicherheit getestet wurde. Jedenfalls auch hier: Herdenimmunität Fehlanzeige!
Poliomyelitis („Kinderlähmung“)
In den westlichen Ländern wird seit vielen Jahren nur noch der Impfstoff mit inaktivierten Polioviren (IPV, nach Salk) verwendet. Die vorher gebräuchliche Schluckimpfung mit Lebendviren (OPV, nach Sabin) zeigte eine zu große Zahl von Impfpolio (sog. vaccine-associated paralytic poliomyelitis, VAPP) und wird überwiegend nur noch in Entwicklungs- und Schwellenländern verwendet. Das RKI äußert sich folgendermaßen „Mit IPV geimpfte Personen können sich aber dennoch mit Polio-Viren infizieren und diese unbemerkt ausscheiden und dadurch weiterverbreiten.“ http://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/Impfen/Poliomyelitis/FAQ-Liste_Poliomyelitis_Impfen.html
Damit dürfte auch für diesen Impfstoff eine Herdenimmunität ausgeschlossen sein.
Tetanus (Wundstarrkrampf) und Diphtherie
Gegen diese beiden Erkrankungen wird im Rahmen der „Grundimmunisierung“ jeweils mit einem sogenannten Toxoidimpfstoff geimpft. Das bedeutet, dass die Antikörper, die sich als Immunantwort auf die Impfungen bilden sollen, nicht gegen die eigentlichen Erreger gerichtet sind, sondern die Gifte, die die Erreger abgeben, neutralisieren sollen, soweit die Theorie. Gegen den Erreger des Wundstarrkrampfs, Clostridium tetani, der quasi überall im Erdreich vorkommt, gibt es keine natürliche Immunität. Zur Impfung gegen die Diphtherie schreibt das RKI: „Die erzeugte antitoxische Immunität verhindert Erkrankungen weitgehend, nicht aber eine Infektion bzw. Kolonisation, so dass auch unter Geimpften Keimträger vorkommen können.“ https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Merkblaetter/Ratgeber_Diphtherie.html Mit welcher Erklärung das RKI hier den Spagat hinbekommen möchte, im selben Artikel trotzdem von einen Herdenschutz zu sprechen, bleibt offen...
Sie ahnen es schon: Dadurch ist selbstverständlich eine Herdenimmunität auf Basis dieser Impfstoffe unmöglich! Interessant ist hier allerdings, dass ein Rückgang der Erkrankungen immer wieder als alleiniger Erfolg der Impfungen behauptet wird, obwohl sich die Situation der Bevölkerung zeitgleich zu den Massenimpfungen nach dem zweiten Weltkrieg hinsichtlich Ernährung, Hygiene und grundlegender medizinischer Versorgung gegenüber den Kriegszeiten massiv verbessert hatte. Es dürfte sich dabei wohl einerseits um eine klassische Verwechslung von Kausalität und Korrelation und andererseits um ein mehr oder weniger bewusstes Ausblenden wichtiger anderer Faktoren handeln.

Fazit

Durchimpfungsraten und Herdenimmunität per se gleichzusetzen, können wir also eindeutig als groben Fehler entlarven. Auch der entsprechende ‚Wikipedia’-Artikel vermischt die beiden Begriffe und zeigt somit (wieder einmal), dass dieses Portal bei medizinischen Themen als wissenschaftliche Quelle nutzlos ist (praktisch jeder kann dort schreiben!).

Also keine Herdenimmunität?

Dann müssten ungeimpfte Kinder doch massenhaft erkranken?
Beispiel Poliomyelitis in Deutschland: Zwischen 2004 und 2014 gibt es laut den Schuleingangsuntersuchungen insgesamt mindestens 345.470 Kinder ohne Polioimpfung (sehr wahrscheinlich noch einige mehr, die aber keinen Impfpass vorlegen konnten). Diese Kinder sind also weder durch eine eigene Impfimmunität, noch durch eine Herdenimmunität infolge Impfung der übrigen Mitmenschen geschützt. Trotzdem gab es den letzten Fall im Jahre 1990, auch durch eingeschleppte Fälle änderte sich daran nichts. Bei sämtlichen seit dem registrierten Fällen handelte es sich um Impfpolio.

Masern

Die Masern stellen durch eine besonders hohe Kontagiosität (Ansteckungsfähigkeit) einen Sonderfall dar, die Herdenimmunitätsschwelle liegt hier bei bis zu 94%. Das bedeutet,  94% der Bevölkerung müssten eine (dauerhafte!) Immunität erreicht haben, um die restlichen 6% mit schützen zu können.
Die WHO ist bestrebt, das Masernvirus auf Basis einer Herdenimmunität weltweit auszurotten (Eradikation), der Zeitpunkt für dieses Ziel musste allerdings immer wieder nach hinten verschoben werden. Viele wissenschaftliche Erkenntnisse stellen dieses Ziel zunehmend infrage:
Zunächst lässt sich die (angebliche) Ausrottung der Pocken durch Impfprogramme, welche als Vorbild auch für die Maserneradikation genommen wird, als Konzept keinesfalls Eins zu Eins auf weitere Erkrankungen übertragen (s. Fußnote 4).
Wie immer offensichtlicher wird, scheint die Nachhaltigkeit dieser Impfung im Sinne einer lebenslangen Immunität (wie infolge durchgemachter Masern) auch nicht gegeben zu sein. Somit kommt es zu einer Altersverschiebung in das jugendliche und das Erwachsenenalter, was eine höhere Komplikationsrate mit sich bringt. Ausbrüche in Slowenien, den USA und China (Länder mit angeblich ausreichend hohen Impfraten) zeigen dies. Auch in Deutschland kommt es immer wieder zu Ausbrüchen, obwohl die Impfraten seit Jahren bei 97% liegen (1. Dosis, s. www.gbe-bund.de, Impfraten gem. Schuleingangsuntersuchungen), auch die Auffangimpfung (2. Dosis, die die Effektivität laut Forschern der CDC lediglich um 2% erhöht https://academic.oup.com/jid/article/204/suppl_1/S133/2193498/Field-Effectiveness-of-Live-Attenuated-Measles) liegt stabil bei über 90%. Erklärungen dafür, warum eine Herdenimmunität trotzdem nur unzureichend gegeben ist, gibt es mehrere: Die Effektivität der Impfung über einen längeren Zeitraum ist letztlich völlig unklar (vgl. Demicheli, MMR-Review 2012). Auch fehlt ein Booster-Effekt durch mangelnden Kontakt zum Wildvirus. Ein immer größer werdendes Problem scheinen aber die sog. vaccine-modified measles zu sein. Durch den nachlassenden Schutz kommt es hierbei häufig zu symptomarmen Verläufen (mitigierte Masern). Ohne selbst sichtbar zu erkranken, können die Betroffenen trotzdem das Virus weiter übertragen (https://www.cdc.gov/vaccines/pubs/pinkbook/meas.html).
Auch hier stellt sich die Frage, ob die Impfkampagnen nicht mehr Schaden als Nutzen gebracht haben. Szenarien, die die Immunitätssituation viele Jahre nach Einführung der Masernimpfung im Modell berechnen, sehen allerdings recht düster aus (https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/14575773). Ein Wiederaufflammen der Masern durch vaccine-modified measles Jahrzehnte später würde hier auf eine Bevölkerung quasi ohne jede natürliche Immunität treffen.

Das Argument der Trittbrettfahrerei scheint sich angesichts dessen in Luft aufzulösen. Zumal Eltern, die ihre Kinder bewusst nicht gegen bestimmte Erkrankungen haben impfen lassen, sich allgemein eher ausgiebig über die entsprechenden Krankheiten informiert haben dürften und diese als eher weniger gefährlich einschätzen, als ein äußerst mangelhaft erforschtes Risiko eines Impfschadens.
Eltern, die ihre Kinder haben impfen lassen, möchten wir gerne dazu aufrufen, sich über die Motive ehrliche Gedanken zu machen: Ging es dabei wirklich auch um eine solidarische Entscheidung oder viel mehr einfach nur um einen Schutz des eigenen Kindes? Und (wie wir gesehen haben) ja: Das ist ein Unterschied!

Wir fassen also zusammen: Das Argument der Herdenimmunität ist unbrauchbar, um Impfunwillige eines fehlenden Solidaritätsverständnisses zu beschuldigen. Viel mehr versucht man offenbar damit, über die teilweise sehr mangelhafte Effektivität der Impfstoffe hinwegzutäuschen. Auch Argumente wie „50% Effektivität sind immer noch besser als 0%“ fallen durch, denn hierbei wird vollkommen vergessen, dass sich die ohnehin schwierige Nutzen-Risiko-Abwägung noch weiter gegen eine Impfung verschiebt.

Beste Grüße,

Ihr AGI-Team


Um Missverständnissen durch unserer verwendetes Bild (Lizenz CC0) vorzubeugen: Das uns v.a. bekannte Hausschaf (ovis gmelini aries) wird zwar oft als feige und dumm beschrieben. Gemäß Forschungen verfügt es allerdings nicht nur über einen äußerst starken Gemeinschaftssinn, sondern ist auch als Individuum hervorragend imstande, aus Erfahrungen zu lernen und sich an eine veränderte Umgebung anzupassen. Die Geschichte der Schafe ist mit der der Menschen eng verwoben.

Recherchen, auf die sich unserer Artikel bezieht, Quellen s. auch dort:
1) https://www.impf-info.de/16-wirkungen/epidemiologie/205-herdenimmunit%C3%A4t.html
2) https://www.impf-info.de/74-wirkungen/ausrottungskampagnen/219-die-ausrottung-von-krankheiten-das-beispiel-masern.html
3) https://www.impf-info.de/die-impfungen/masern/115-masern-die-impfung.html
4) https://www.impf-info.de/74-wirkungen/ausrottungskampagnen/218-die-ausrottung-von-krankheiten-das-beispiel-pocken.html

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