Wer ist Jens Spahn?

16.12.2019

Seit unser derzeitiger Bundesgesundheitsminister urplötzlich in der Bundespolitik auftauchte, heften an ihm Vorwürfe wegen Nebentätigkeiten und Interessenkonflikten. Spahns politisches Talent wird dabei zwar kaum infrage gestellt, die Inhalte in seinen Stellungnahmen werden jedoch in der Öffentlichkeit häufig mit Unverständnis und nicht selten mit Empörung wahrgenommen.
Wer steckt hinter dieser bizarren Mischung aus Saubermann und Scharfmacher, der oft auch mit Populismus (Florian Gathmann, 'Spiegel') seine politische Agenda zu verwirklichen versucht?

Jens Spahn schafft es, als Erster seit 1874 (Bismarck) und mit teilweise ungültigen Argumenten („Ich will die Masern ausrotten“), eine Impfpflicht in einem deutschen Parlament durchzusetzen; und das entgegen der Empfehlungen und ausdrücklicher Bedenken des 'Deutschen Ethikrates’, der Bundesoberbehörde für Krankheitsüberwachung und -prävention (RKI), renommierter Virologen (Prof. Alexander Kekulé, „Die Impfraten sind ausreichend.“) und Teilen der Ärzteschaft.

Geboren 1980 im niederrheinischen Ahaus, nahe der Grenze zu den NL, trat Spahn als 17-Jähriger in die CDU ein. Dem Abitur an der vom Bistum Münster getragenen Schule schloss sich eine duale Berufsausbildung zum Bankkaufmann bei der krisengeschüttelten West-LB an. Neben der Mitgliedschaft im Bundestag seit 2002 absolviert Spahn ein Fernstudium der Politikwissenschaften mit Bachelor (2008) und Master of Arts (2017).

Beobachter verorten Spahn eher im weit rechten Flügel der Partei. Laut ARD-Recherchen versuchte Spahn im Wahlkampf 2017 über verdeckte Anzeigen (sog. Dark Ads) gezielt, jüngere AfD-Sympathisanten für seine Partei zu gewinnen. Für bestimmte Aussagen zur Integrationspolitik handelte sich Spahn später sogar ein Lob des AfD-Chefs Gauland ein.
https://de.wikipedia.org/wiki/Jens_Spahn

Schnell erwarb sich der junge Bundestagsabgeordnete einen Ruf als 'Provokateur' in den Feuilleton-Kolumnen. Nicht nur auf Parteitagsreden, auch in der medialen Öffentlichkeit wartet Spahn fortwährend mit Thesen und Forderungen auf, als ob die gesellschaftlichen Diskurse der letzten Jahrzehnte überwiegend an ihm vorbei gezogen wären wie ein ICE in der ländlichen Region. So leierte er erst kürzlich der Bundesregierung (sprich: dem Steuerzahler) fünf Millionen Euro aus dem Kreuz - für eine Studie zur psychischen Belastung von Frauen nach Abtreibung - im Rahmen der Diskussion um den Paragraphen 219a. Um es gleich vorweg zu nehmen: Religiöse und andere Vorlieben halten wir grundsätzlich für Privatsache. Man sollte dies aber auch besser aus der Politik heraushalten.
https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/studie-zu-abtreibungen-was-erhofft-sich-jens-spahn-davon-16035903/am-ende-wissen-die-frauen-ja-16035776.html

Spahn ist Mitglied der in der Kritik stehenden Deutsch-Atlantischen Gesellschaft und Absolvent im Thinktank „Atlantik-Brücke“. 2017 nahm er an einer 'Bilderberger-Konferenz in den USA teil.
https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13488117.html

„Im Nebenjob Abgeordneter“ ('Focus')

Die erste besonders brisante Episode führte Spahn in seiner Tätigkeit als Mitglied im Bundestagsausschuss für Gesundheit 2005 auf. Als „Gesundheitspolitiker“ hielt er gleichzeitig Anteile an der Gesellschaft bürgerlichen Rechts 'Politas', mit 25% gerade eben so unter der Grenze zur Meldepflicht. Die Lobby-Agentur war im Gesundheits- und Pharmabereich aktiv. Die Nebeneinkünfte und seine Rolle in der Agentur wurden mit der Bemerkung verdunkelt, er habe angeblich nur einem Freund für die Unternehmung Geld geliehen. Ein wenig Reue zeigte Spahn erst, als nicht mehr zu leugnen war, was das Webaktivisten-Portal 'Lobbycontrol' dazu veröffentlichte. Weitere Anfragen ließ Spahn bis heute unbeantwortet.
https://www.lobbycontrol.de/2013/01/ein-abgeordneter-mit-lobbyagentur-jens-spahn-antwortet-nicht/

https://www.focus.de/politik/deutschland/tid-28335/politik-im-nebenjob-abgeordneter_aid_867815.html

Die Pille danach und Smarties

2013 forderten SPD und Linke, die Rezeptpflicht für die 'Pille danach' aufzuheben (wie dies in allen EU-Ländern außer Polen und Italien der Fall ist). Die schwarz-gelbe Koalition erteilte dem eine Absage und Jens Spahn erntet mit seinem Kommentar „Solche Pillen sind nun mal keine Smarties“ einen heftigen Shitstorm in den Social Media. Uns fällt hierbei auf, dass Spahn die möglichen, unerwünschten Arzneimittelwirkungen vorschiebt (oder geht es vielleicht eher um religiöse Aspekte?), die ihn später als Gesundheitsminister bei der Pflicht-Masern-Impfung (bzw. der MMR) offenbar überhaupt keine Sorgen machen.
https://www.noz.de/deutschland-welt/medien/artikel/4163/shitstorm-bricht-uber-bundestagsabgeordneten-jens-spahn-herein/

Wieder Interessenkonflikte

2015 wurde Spahn zum parlamentarischen Staatssekretär im Finanzministerium ernannt. Zwar brachte er als gelernter Bankkaufmann zumindest Grundkenntnisse der Materie mit, fiel aber auch hier durch eigene Interessen auf. Zuständig u.a. für das Steuersystem in Deutschland unterhielt er Anteile an einer Firma, die eine Steuersoftware produziert. Auch die Organisation 'Transparency International' wurde hier längst hellhörig. Spahn wiegelte mit den Worten ab: „Ich fand das eine pfiffige Idee“.
https://lobbypedia.de/index.php/Jens_Spahn

https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/kritik-an-jens-spahn-nicht-nur-grotesk-sondern-auch-bedenklich/20239742.html

Auch auf der Plattform 'AbgeordnetenWatch' warten Bürgeranfragen vergeblich auf eine ernstgemeinte Antwort. Von Bot-ähnlichen Textbausteinen a lá „Richten Sie ihre Anregungen jederzeit auch gerne an mein Büro“ oder „Geben Sie mir erst mal ihre E-Mail-Adresse“ abgesehen.
https://www.abgeordnetenwatch.de/profile/jens-spahn

Wechsel ins Bundesministerium für Gesundheit

Im Frühjahr 2018 wurde Spahn Bundesgesundheitsminister im Kabinett Merkel. Hier überschlagen sich die Ereignisse.

Wurde bei seinen Vorgängerinnen und Vorgängern [Rita Süssmuth (CDU), Horst Seehofer (CSU), Andrea Fischer (Grüne), Ulla Schmidt (SPD), Philipp Rösler und Daniel Bahr (FPD), Hermann Gröhe (CDU)] eine oftmals zu enge Zusammenarbeit mit Lobbyisten attestiert, machte man nun den Bock in Form eines ausgewiesenen Lobbyisten selbst zum Gärtner bzw. Minister.

Spahn machte sich hier schnell einen Namen als „Aufmischer“, der das System von Grund auf versucht, umzukrempeln. Mehrere Petitionen erreichen Rekordzahlen an Zeichnern, die seine Vorstöße teilweise entrüstet ablehnen.
https://www.aerzteblatt.de/archiv/205986/Ein-Jahr-Jens-Spahn-Aufmischer-der-Gesundheitspolitik

Die (unserer Meinung nach) größten Entgleisungen und Kurzschlüsse im Überblick:

- Pflegerinnen und Pfleger sollen mehr Stunden leisten

Angesichts des massiven Pflegenotstands in Deutschland, schlägt Jens Spahn vor, die Pflegekräfte mögen doch einfach mehr Arbeitsstunden leisten. Den vielen wütenden Kommentaren entgegnet er, er „fühle sich falsch verstanden“. Vielmehr scheint allerdings Spahn selbst etwas falsch verstanden zu haben. Denn Realität ist, dass viele der Teilzeitkräfte in der Pflege entweder tatsächlich mehr arbeiten würden (was sie mit Überstunden ohnehin schon tun), dann aber auch angemessen entlohnt werden möchten. Oder schlicht durch die Überlastung aufgrund des körperlichen und psychischen Dauerstress dazu gar nicht mehr imstande sind. Tausende von Stellen sind außerdem bis heute mangels Personal und/oder Finanzierung nicht besetzt, so dass eine solche Forderung wie blanker Hohn erscheinen muss.
https://www.tagesschau.de/inland/spahn-pflege-105.html

- Zugang zu psychotherapeutischer Betreuung

Mangelndes Fingerspitzengefühl zeigt Spahn auch hier durch sein Gesetzesvorhaben namens 'Terminservice- und Versorgungsgesetz' (TSVG). Die Idee, den Zugang zur psychotherapeutischen Betreuung neu zu regeln, stößt auf eine breite fachliche, politische und gesellschaftliche Ablehnung. Die Kritiker befürchten weitere Hürden und sehen in dem Vorschlag, die Patientinnen und Patienten sollen zunächst mit einem vorgeschalteten Schulmediziner sprechen, eine „emotionale Zumutung“. Spahn übergibt die Ausarbeitung der Neureglung daraufhin an den 'Gemeinsamen Bundesausschuss' (G-BA), mag aber nicht von einem Rückzieher sprechen.
https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/gesundheitspolitik-spahn-reagiert-auf-kritik-zugang-zu-psychotherapie-soll-reformiert-werden/24045008.html

Psychische Erkrankungen steigen in Deutschland nach wie vor zahlenmäßig an. Gründe hierfür werden im gestiegenen Leistungsdruck vermutet. Für Psychotherapie zukünftig ein separates Studium einzuführen begrüßen wir durchaus, die schlechte soziale Absicherung in diesem wichtigen Beruf wird damit allerdings nicht behoben.

- Organspende

Spahn tritt für die sogenannte 'doppelte Widerspruchslösung“ zur Organspende ein und entwirft ein Gesetz dazu. Dies bedeutet, dass es nun nicht mehr ausreicht, seine Angehörigen über einen Widerspruch zur einer Organentnahme zu informieren oder einen entsprechend ausgefüllten Organspendeausweis mit sich zu führen. Wenn man sich die Frage stellt, ob 'Hirntod' und „tatsächlicher“ Tod dasselbe sein können, oder die ganze Geschichte mit der Transplantationsmedizin so oder so persönlich ablehnt, soll man nun aktiv werden müssen und dies in einem (noch einzurichtenden) Register schriftlich darlegen.
https://www.haz.de/Nachrichten/Politik/Deutschland-Welt/Transplantation-Organspende-So-funktioniert-die-doppelte-Widerspruchsloesung

- Elektronische Patientendaten und eine besonders heikle Personalie

Das Vorhaben, elektronische Patientenakten zu erstellen und im Gesundheitswesen online verfügbar zu machen, wird in Form des 'Digitalen Versorgungs-Gesetzes' (DVG) vorangetrieben. Der Bund wird zu diesem Zweck Mehrheitseigener der 'Gematik GmbH', die dies technisch realisieren soll. Jens Spahn erwirkt dies nicht nur am Bundestag und an den Selbstverwaltungsorganen vorbei, er setzt auch - trotz Protesten aus allen Richtungen - den Pharma-Manager Dr. Markus Leyck Dieken dort als Geschäftsführer ein.
https://www.transparency.de/aktuelles/detail/article/spahn-ernennt-pharmalobbyisten-zum-chef-einer-gesellschaft-mit-sensiblen-elektronischen-patientendat/

- Krebs

Mit der „steilen These“, Krebs könnte „in 10-20 Jahren besiegt sein“ und einem Beitrag auf Twitter stößt Spahn letztlich auch vielen Betroffenen vor den Kopf. Nicht, dass wir solcherlei Ambitionen grundsätzlich kritisieren würden. Aber ist sich der Gesundheitsminister eigentlich bewusst, auf welch dünnem Eis er sich da bewegt? Auch der 1971 unter US-Präsident Nixon ausgerufene „War on cancer“, der in eine bis dato nie dagewesene Mittelvergabe an medizinische Forschungseinrichtungen führte, muss spätestens heute als verloren gelten. Laut einem Artikel im 'Lancet' ist Krebs heute Todesursache Nr. 1 in den wohlhabenden Ländern.
https://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/jens-spahn-entschuldigt-sich-fuer-krebs-tweet-a-1251700.html

https://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2019-09/krebs-todesursachen-lancet-studie-herz-kreislauf-erkrankungen

- Die Facebook-Seite des Bundesgesundheitsministeriums

Spahn scheint entweder seine Social Media-Referentinnen und -Referenten nicht im Griff zu haben. Oder schlimmer wäre noch: Er goutiert deren Treiben. Wie wir bereits berichteten, werden Teile der Gesellschaft dort verunglimpft oder mit hämischen Spielchen bei Laune gehalten, während sachliche Beiträge Opfer von Löschungsaktionen werden. Meinungsfreiheit und Hausrecht sind eine Sache, anstößig wäre allerdings, wenn an dieser Stelle zudem noch Steuermittel vergeudet würden.
https://www.facebook.com/impformation/photos/a.867039719995787/2603528686346873


Die tatsächlichen Probleme im Gesundheitssystem, so meinen wir, interessieren Jens Spahn nur am Rande. Anstatt sich um tatsächliche Probleme wie die dauerhafte, privatwirtschaftliche Selbstbedienung im Solidarsystem, die kapitalistische Ausschlachtung der Krankenhäuser, das Schicksal der Hebammen oder die vielen anderen Baustellen zu scheren, scheint es eher darum zu gehen, rein politisch zu punkten.

Ein Minister wurde schon immer daran gemessen, wie viele Gesetze er zur Verabschiedung gebracht hat, der Code lautet hier „Macht“. Ausschlaggebend sollten allerdings stets die eigentlichen Inhalte sein. Und auch nur der Verdacht einer möglichen, persönlichen Vorteilsnahme könnte Zweifel an diesen Inhalten wecken.



Foto:
Olaf Kosinsky - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=66705991


Kron-AGI in den Social Media

Wir unterstützen die folgenden Initiativen