Gibt es nun eigentlich ein Masernvirus –
oder nicht?
Um dies gleich vorweg zu nehmen: Selbstverständlich können auch wir Ihnen diese Frage nicht beantworten. Allerdings finden wir es zunächst legitim, diese Frage überhaupt zu stellen und äußerst interessant zu sehen, was daraus resultieren kann, wenn es jemand tut.
Gestellt hatte diese Frage der Biologe Dr. Stefan Lanka. Damit sie auch gehört wird, hat er in listiger Weise die mögliche Beantwortung mit einer Art Preisausschreiben verknüpft und versprochen, ein Preisgeld von 100.000 Euro demjenigen auszuzahlen, der Beweise für die Existenz des Masernvirus einreicht, dabei jedoch bestimmte Bedingungen erfüllen muss. Doch dazu noch später.
Der junge Arzt Dr. Bardens, damals noch am Anfang seiner Karriere, nahm sechs Studien zusammen, die er für beweiskräftig genug hielt und sandte sie Lanka zu. Dieser verneinte aber die Erfüllung seiner gestellten Bedingungen und so ging das Ganze vor Gericht durch mehrere Instanzen. Auch die Presse berichtete nun über den sogenannten „Masernprozess“, bekleckerte sich dabei allerdings nicht gerade mit Ruhm. Die Promotion Lankas wurde nahezu überall verschwiegen, Berichte über seine wissenschaftliche Arbeit kamen nicht vor, meistens hieß er nur „der Impfgegner“. Die überwiegende Einseitigkeit der Berichterstattung war offensichtlich.
Das Ganze endete und gipfelte nun darin, dass der Bundesgerichtshof mit einem Beschluss die sogenannte Nichtzulassungsbeschwerde der Revision seitens Bardens Ende letzten Jahres zurückwies und Lanka in einem Newsletter verkündete, der Prozess sei endgültig gewonnen und der Beweis zum Masernvirus nicht erfolgt, dieses sei also folglich nicht existent.
Hat der BGH nun die Nichtexistenz des Masernvirus bestätigt?
Vielleicht haben ja tatsächlich einige Personen geglaubt, die Gerichte könnten nun zur Existenz des Masernvirus urteilen oder wenigstens einen Beschluss fassen. Natürlich ist dies unsinnig, denn im Prozess ging es lediglich um die Frage, ob die Bedingungen erfüllt sind und das Preisgeld ausgezahlt werden muss, genau diese Aufgabe haben die Richter erfüllt.
Dabei wurde allenorts immer wieder in den Vordergrund gestellt, Lanka habe eine Studie verlangt, es seien aber sechs eingereicht worden. Im erstinstanzlichen Urteil können wir dazu folgendes lesen: „Wie sich aus dem überzeugenden Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Dr. P... ergebe, handele es sich bei den Publikationen ausnahmslos um wissenschaftliche Fachartikel. Sie bewiesen - entsprechend den Ausführungen des Sachverständigen - zwar nicht jeweils für sich, doch in ihrer Gesamtschau die Existenz eines Virus, das für die Masernerkrankung ursächlich sei.“
http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&GerichtAuswahl=OLG+Stuttgart&Art=en&Datum=2016-2&nr=20705&pos=6
Aha: ‚Gesamtschau’. Wie dürfen wir uns das jetzt vorstellen?
Eine mögliche Erklärung liefert uns der Professor für Methodologie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder, Prof. Dr. Dr. Harald Walach. In der Reihe „Methodenlehre für Anfänger“ greift er unter Nr. 17 den „Masernprozess“ mit der Frage auf: „Was ist eine ‚wissenschaftliche’ Tatsache?“ Er beschreibt dort Wissenschaftlichkeit als ein „komplexes Konstrukt“ und zeigt auf, wie aus Forschungen letztlich wissenschaftliche Informationen entstehen und worauf die Anerkennung derselben fußt: „Zum Begriff der Wissenschaftlichkeit gehört aber auch die konsensuelle, soziale Akzeptanz. Dies ist ebenfalls kein Wahrheitskriterium, sondern ein Kriterium für Unstrittigkeit. Strittige Meinungen werden in der Regel nicht als ‚wissenschaftlich akzeptiert’ oder als ‚wissenschaftlich’ bezeichnet, sondern von den Gegnern oft als ‚unwissenschaftlich’ tituliert. Damit ist meist gemeint: ‚nicht von der Mehrheit der auf einem Gebiet Arbeitenden akzeptierte Meinung’.“
Allerdings begutachtet Walach anschließend selbst die sechs eingereichten Studien gemäß ihrer methodischen Qualität und fasst zusammen: „keine der Studien führt eine wirklich solide negative Kontrolle durch, in der sichergestellt ist, dass nicht schon im Ausgangsmaterial, den Affennierenzellen bzw. in den HeLa-Zellen, das potenziell infektiöse Agens vorhanden ist. Sowohl die eingebrachten Agenzien selbst, oder diese in Interaktion mit dem Zellmaterial, oder dieses allein, oder alles zusammen mit dem Isolat aus dem erkrankten Gewebe könnten für die beobachteten Veränderungen verantwortlich sein.
In diesem Sinne scheint mir der Herausforderer, Dr. Lanka, recht zu haben: mit einer einzigen Studie wird nicht zu beweisen sein, dass es das Masernvirus gibt und mit einer von den hier vorgelegten schon gar nicht.“
http://harald-walach.de/methodenlehre-fuer-anfaenger/17-was-ist-eine-wissenschaftliche-tatsache-ein-kleines-fallbeispiel-der-masernprozess/
Wie kommt man denn bloß auf die Idee, einem „akzeptierten Konsens“ zu widersprechen?
Nun, um dieser Frage nachzugehen, müssen wir natürlich zunächst die eigentliche Ausschreibung genauer unter die Lupe nehmen und lesen bei Lanka selbst nach. Ob die von ihm angegeben ursprünglichen Beweggründe stimmen, können wir zwar nicht nachprüfen, halten sie aber nicht für ausgeschlossen.
Er beruft sich auf den §4 des Infektionsschutzgesetz (IfSG), wonach dem Robert Koch-Institut (RKI) die Aufgabe zukommt „[…] Forschung zu Ursache, Diagnostik und Prävention übertragbarer Krankheiten“ zu betreiben.
https://www.gesetze-im-internet.de/ifsg/__4.html
Das RKI würde diese Aufgabe zwar nach eigenen Angaben erfüllen, indem es Masernviren isoliere, würde dies allerdings wegen widersprüchlicher Ergebnisse nicht publizieren. Aus diesem Grund ist eine Bedingung, dass die Studie zum Beweis des Masernvirus zwingend vom RKI stamme müsse.
http://wissenschafftplus.de/uploads/article/Stellungnahme_zum_Gutachten_von_Prof_Podbielski_2-2-2015.pdf
Dies scheint uns doch der viel wesentlichere Punkt zu sein, als jener, wie viele Studien eingereicht werden sollen. Hier müsste sich jeder klar Denkende eigentlich unbedingt zwei Fragen stellen:
1) warum es nicht möglich war, eine solche Studie des RKI aufzutreiben
2) warum dazu in der Presse nichts zu lesen war
Die Problematik in der klinischen Forschung
Des Weiteren verlangte Lanka, die Studie müssen den Grundsätzen der Deutschen Forschungsgemeinschaft Rechnung tragen. Wir lesen dort im für alle Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen (natürlich auch den staatlich beauftragten des RKI) verbindlichen Leitfaden „Vorschläge zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis“ unter anderem folgendes: „Als besonders problematisch hat die Kommission die Verhältnisse in der klinischen Forschung identifiziert. Die Probleme, die auch im Ausland beschrieben werden (68), wirken sich in Deutschland dadurch besonders stark aus, dass die Ausbildung der Studierenden im Fach Humanmedizin für sich allein keine geeigneten Grundlagen für eine eigenständige wissenschaftliche Tätigkeit vermittelt (69). Dementsprechend sind viele medizinische Promotionsleistungen […] Pflichtübungen, die wissenschaftlichen Maßstäben, wie sie in den medizinisch-theoretischen Disziplinen und in den Naturwissenschaften gelten, nicht genügen; […] „
http://www.dfg.de/foerderung/grundlagen_rahmenbedingungen/gwp/
Wie geht es jetzt weiter?
Wir kennen Herrn Dr. Lanka nicht persönlich. Uns scheint aber, als wolle er genau dort den Finger tief in die Wunde legen, wo die Schwachpunkte unseres Systems ganz offensichtlich liegen. Bei der Forschung, bei den Aufsichtsbehörden und auch bei der Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben. Gleichsam wie ein Till Eulenspiegel der heutigen Zeit, der die Menschen beim Wort nimmt und ihnen den Spiegel vorhält. Nur eben ohne Narrenkappe, die aber dem historischen Eulenspiegel angeblich auch nur angedichtet wurde.
Oder, wie Prof. Walach anmerkt: „Der Masernvirenprozess kann vielleicht einen kleinen Anstoß zum Nachdenken geben. […] Mit ausreichend viel Chuzpe und Hartnäckigkeit lässt sich die Mehrheitsmeinung in Frage stellen, wenn man bereit ist, die Prügel auszuhalten, die zunächst zu erwarten sind.“
Übrigens schlägt er auch vor, wie man dem ganzen Problem abhelfen könnte: „Angesichts des großen Replikationsproblems in der Medizin[19] und des daraus drohenden Zweifels in der Gesellschaft wäre es wahrscheinlich klug, wenn sich ein paar kompetente Forscher daran machen würden, diese Zweifel durch sorgfältige Replikationen auszuräumen. Ein für allemal. Oder aber die Bücher neu zu öffnen. Im Moment scheint mir beides möglich, aber noch lange nichts endgültig belegt.“
http://harald-walach.de/methodenlehre-fuer-anfaenger/17-was-ist-eine-wissenschaftliche-tatsache-ein-kleines-fallbeispiel-der-masernprozess/
Wir würden uns freuen, Sie mit diesen weiteren Aspekten zum „Masernprozess“ ein wenig zum Nachdenken angeregt zu haben.
Ihr AGI-Team
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Foto nach CC0 public domain
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